EUROplast in “Plast­ver­ar­beiter” Ausgabe 06/ 02

Polyamid für die Luftfahrtindustrie — Brandschutz im Visier

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Die Problematik bei den Bauteilen mit Luftfahrtzulassung nach ABD und FAR ist einerseits die geringe geforderte Brennbarkeit, andererseits dürfen im Brandfall keine toxischen Dämpfe entstehen. Ein Polyamid stellt sich der Herausforderung.

Bislang wird häufig Polycar­bonat (PC) für Anwen­dungen in der Luftfahrt einge­setzt. Dieser amorphe Werkstoff bereitet jedoch wegen seiner relativ schlechten Spannungs­riss­be­stän­dig­keit Probleme. Es besteht die Gefahr, dass durch eine Überla­ge­rung von Spannungen in Verbin­dung mit einem Chemi­ka­li­en­an­griff Risse ausge­löst werden.

Spannungen entstehen an Kunst­stoff­teilen durch den Herstel­lungs­pro­zess, beispiels­weise beim Spritz­gießen oder beim Tiefziehen – wobei eine gute Verar­bei­tung und eine kunst­stoff­ge­rechte Konstruk­tion der Bauteile das Spannungs­ni­veau reduzieren. Je nach Anwen­dungs­fall kann es bei den Bauteilen auch zu nicht unerheb­li­chen Spannungen in der späteren Einbau­si­tua­tion durch Verwen­dung von gewin­de­for­menden anstelle von gewin­de­schnei­denden Schrauben oder falsch ausge­legten Schnapp­haken kommen.

Bei den benötigten Bauteilen handelt es sich um techni­sche Funkti­ons­teile der Sitzme­chanik. Diese sind im Einbau­zu­stand gewissen Spannungen ausge­setzt und werden mit spannungs­riss­aus­lö­senden Substanzen wie Schmier­fetten, aber auch Lebens­mit­teln, Handcremes oder Reini­gungs­mit­teln konta­mi­niert. Nach jedem längeren Flug steht eine Reini­gung an, die teilweise an den entle­gensten Orten in der Welt durch­ge­führt wird. Dadurch ist es schwierig, die Substanzen vorzu­schreiben, mit denen die Kunst­stoff­teile behan­delt werden dürfen. Der Einsatz von Polycar­bonat, einem Werkstoff mit hoher Schlag­zä­hig­keit und Möglich­keit der Flamm­schutz­aus­rüs­tung, birgt jedoch fast bei jedem handels­üb­li­chen Reini­gungs­mittel die Gefahr der Spannungs­riss­bil­dung in sich.

Das Eigen­schafts­profil des Werkstoffes, der für die Luftfahrt­in­dus­trie zugelassen ist, muss bestimmten Anfor­de­rungen genügen:

  • Brenn­bar­keit an  Horizon­tal­test (15s) nach App.F to part 25 part I § (a),(1),(v)
  • Rauch­dichte gemäß FAR 25.853 (d)
  • Rauch­dichte gemäß ABD 0031
  • Toxizität gemäß ABD 0031
  • Chemi­ka­li­en­be­stän­dig­keit
  • Definierte Festig­keits- und Dehnwerte

Nach verschie­denen Versu­chen entstand ein für die Luftfahrt­in­dus­trie geeig­netes, trocken­schlag­zähes PA6 GF 15 FR (Foramid GM 96/30–1). Die Polymer­ma­trix dieses Werkstoffes besteht aus Polyamid 6, einem teilkris­tal­linen Werkstoff mit ausrei­chenden Festig­keits- und Dehnwerten sowie hoher Chemi­ka­li­en­be­stän­dig­keit. Zur Erzie­lung der flamm­hem­menden Eigen­schaften wurden nicht unerheb­liche Mengen eines phosphat- und schwer­me­tall­freien Flamm­schutz­sys­tems zugesetzt. Weiterhin wurden etwa 15% Glasfaser eincom­poun­diert um die Festig­keit und Steifig­keit zu erhöhen. Bei einem Anteil von 30% war der Werkstoff, bedingt durch den hohen Flamm­schutz­an­teil, zu spröde. Ein zugesetzter Schlag­zäh­mo­di­fi­kator auf Kautschuk­basis verhalf zur Erhöhung der Trocken­schlag­zä­hig­keit.

Verarbeitungsaspekte

Der Werkstoff lässt sich wie ein normales PA 6 – GF15 verar­beiten. Um die Einfärb­bar­keit zu gewähr­leisten, muss die Farbe exakt auf den Grund­werk­stoff einge­stellt werden. Dennoch ist zu bemerken, dass die Einfärb­bar­keit aufgrund des hohen Flamm­schutz­an­teils nur einge­schränkt möglich ist.

Die Plasti­fi­zier- und Einspritz­be­din­gungen müssen so einge­stellt werden, dass sich das Blend nicht entmischt. Die Parameter wurden empirisch ermit­telt.

Die fertigen Spritz­gieß­teile sollten trotz Trocken­schlag­zäh­mo­di­fi­zie­rung nach der Fertig­stel­lung noch mit 2–3 % destil­liertem Wasser kondi­tio­niert werden. Dies erhöht die Schlag­zä­hig­keit des durch den hohen Flamm­schutz­an­teil relativ spröden Polyamid­com­pounds.

Die Spritz­giess­form ist mit harten Einsätzen aus Warmar­beits­stahl (1.2344) ausge­stattet und besitzt eine optimale Einsatz­tem­pe­rie­rung. Die Ansprit­zung erfolgt, wegen der relativ geringen Stück­zahlen der Luftfahr­in­dus­trie, mit Stange und Verteiler ohne Heißka­nal­technik. Auf eine ausrei­chende dicke Anbin­dung des Tunnel­an­gusses wurde geachtet. Dies ist wichtig für geringe Scherung und ausrei­chende Nachdruck­ver­sor­gung des teilkris­tal­linen Werkstoffes. Die Binde­nähte wurden in unkri­ti­sche Bereiche gelegt. Die Entfor­mung erfolgt mittels Flach- und Rundaus­wer­fern sowie partiell mit aufwän­diger Schie­ber­tech­no­logie.

Compoundherstellung

Die Polymer­gruppe der Polyamide hat sich aufgrund ihrer Vielsei­tig­keit im Bereich der Spritz­gieß­gra­nu­late als eine der wichtigsten und vielsei­tigsten thermo­plas­ti­schen Kunst­stoffe etabliert. Dabei wird das Makro­mo­lekül aus ein oder zwei verschie­denen Monomeren aufge­baut. Es wird unter­schieden zwischen PA 6 (aber auch PA 11 und PA 12) und PA 6.6 (aber auch PA 4.6 und PA 6.9). Die Zahl besagt dabei die Anzahl der Kohlen­stoff­atome im Molekül.

Die für den Einsatz­zweck gefor­derte Kombi­na­tion von halogen- und phosphat­freiem Flamm­schutz, Glasfaser-Verstär­kung und Schlag­zäh­mo­di­fi­ka­tion stellt für den Compoun­deur eine beson­dere Heraus­for­de­rung dar. Den Aspekten Polymer­kom­pa­ti­bi­lität, Abstim­mung der Wirkme­cha­nismen, Sicher­heit der Prozess­füh­rung, Umwelt­ver­träg­lich­keit und gute Ökonomie muss man dabei gerecht werden.

Aufgrund langjäh­riger Erfah­rungen erwies sich ein Flamm­schutz­system auf Basis von Melamin­cya­nurat ( melapur MC 25 von DSM ) als geeignet.

Es wird deutlich, dass bei PA 6 die Endgruppen NH2 und COOH mit denen von MCU eine Verbin­dung eingehen, wobei die Bildungs­re­ak­tion durch Aufklappen der Ringe und Anlage­rung statt­findet. Dabei wird Cyanur­säure abgebaut, was gleich­zeitig zum Abbau von Polymaid und damit zu einer niedri­geren Rauch­gas­dichte führt. Es hat sich aller­dings gezeigt, dass die Dosie­rung von Melamin­cya­nurat zur Erzie­lung der jewei­ligen Brand­klasse weit höher angesetzt werden muss, als vom Hersteller angegeben.

Reichte bei dem Produkt MCU 25 von Chemie Linz im Jahre 1992 noch 8 Gew. % um bei PA 6 unver­stärkt V 0 nach UL 94 (1,6 mm) zu errei­chen, so benötigt man mit dem vorge­nannten Produkt mindes­tens 12,5 Gew. %.

Das Brand­ver­halten von PA 6 mit Glasfaser wurde durch das Flamm­schutz­system daher nur insoweit beein­flusst, dass V 2 nach UL 94 (1,6 mm) erreicht wurde. Da die Bauteile 3 mm Wandstärke aufweisen, sinkt die Brenn­bar­keit auf V 1 nach UL 94 ab und erfüllt somit die Flamm­schutz­tests der Luftfahrt­in­dus­trie, die sich von den Tests der Under­wri­ters Labora­to­ries unter­scheiden.

Durch den Zusatz des Schlag­zäh­mo­di­fiers, in diesem Fall eines Ethylen-Propylen-Kautschuks (EPM), zu dem bereits hohen Flamm­schutz­an­teil, entsteht ein kompli­ziertes Gemen­gen­ge­lage, das hohe Anfor­de­rungen an den techno­lo­gi­schen Prozess der Compoun­die­rung stellt. Ohne drei gravi­me­tri­sche Dosier­ein­heiten auf der einen Seite und der richtigen Wahl der Visko­sität als Quotient aus Scher­ge­schwin­dig­keit und Schub­span­nung auf der anderen Seite ist dabei eine gleich­mä­ßige Qualität nicht zu sichern.

Techni­sche Funkti­ons­teile der Sitzme­chanik für die Luftfahrt­in­dus­trie
Verar­bei­tung des Polyamides auf der Spritz­gieß­ma­schine
Werkzeug­technik zur Herstel­lung der Funkti­ons­teile

Bilder: EP Kunst­stoff­technik

Autoren

Dr. Gerhard Pohl, Inhaber der Carl Pohl-Textil- und Thermo­plasther­stel­lung Forst / Lausitz und Geschäfts­führer der Dr. Pohl-Textil- und Thermo­plast GmbH, Forst / Lausitz

Dipl.-Ing. Elmar Nachts­heim, Geschäfts­führer der Europlast, EP Kunst­stoff­technik GmbH, Ilsfeld

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